Ein Stück Geschichte Lindens
Veröffentlicht am 05.08.2023Die Lindener Arbeiter-Kultur wurde mit der Machtergreifung der Nazis zerschlagen. Die Filmemacher Winfried Wallat und Wolfgang Jost haben ihr ein Denkmal gesetzt. Ihr Dokumentarfilm "Linden - Ein Arbeiterlied" von 1991 ist heute selbst ein Zeitdokument.
Der Film „Linden – ein Arbeiterlied“ ist bei der Lumiere-Film-Produktion erschienen, die 1986 in Hannover von Winfried Wallat (Foto: Michael Krische) gegründet wurde. Wallat hat in Hannover studiert, hier geheiratet und lange für den NDR gearbeitet. Zehn Filme gibt es bisher aus seiner Produktion. Ein neues Projekt ist im Werden: „Wie Beethovens Neunte nach Japan kam.“ Mit dem Filmemacher sprach unser Vorstandsmitglied Michael Krische.
Herr Wallat, wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Film über Menschen und ihre Geschichte im Arbeiterstadtteil Linden zu drehen?
Wallat: Ich habe während meines Studiums in Linden und Limmer gelebt. Ich war immer politisch interessiert und habe in den bewegten 70er Jahren viele politische Veranstaltungen besucht, unter anderem in der Uni und im Lindener Freizeitheim.
Und was hat den entscheidenden Anstoß zu diesem Film gegeben?
Wallat: Ich saß mit meinem guten Freund , dem Kameramann Wolfgang Jost in einer Kneipe. Das war irgendwann in den 80er Jahren. Wir waren erschüttert, weil in Bremerhaven eine Neo-Nazi-Partei in den Stadtrat gekommen war. Wir haben uns gefragt: Sind die jetzt schon wieder da? Wir haben dann gemeinsam diesen Film gemacht.
Das war ja dann nicht so einfach...
Wallat: Ganz und gar nicht. Die Finanzierung war sehr schwierig, weil wir vom Land, damals unter der Regierung von Ernst Albrecht, keine Fördermittel bekamen. Dabei war die Produktion sehr aufwändig. Wir drehten auf Zelluloid und brauchten viel Material. Finanziert haben wir das Projekt aus unseren Arbeitseinkünften. Nach sechs Jahren waren wir endlich fertig. Und wir waren total verschuldet.
Wie sind Sie denn an die vielen Zeitzeugen gekommen, die Sie für den Film „Linden - ein Arbeiterlied“ interviewt haben?
Wallat: Ich hatte vielfältige Kontakte zum DGB, zur SPD und auch zur DKP geknüpft. Wenn man dann erstmal zwei, drei Leute hat, dann erweitert sich der Kreis wie in einem Schneeballsystem. Sie sprechen mit ehemaligen Arbeiterinnen und Arbeitern der Hanomag und von Körting. Die Menschen blättern in alten Fotoalben. Sie erzählen von den Verhältnissen in den Arbeitervierteln wie zum Beispiel im sogenannten „Klein-Rumänien“, von Arbeitslosigkeit und vom Aufkommen des Nationalsozialismus.
Aber es sind auch einige bekannte Gesichter dabei.
Wallat: August Holweg zum Beispiel, der bei der Hanomag gearbeitet hat und sich 1933 der Widerstandsgruppe „Sozialistische Front“ anschloss. Von 1956 bis 1972 war er Oberbürgermeister von Hannover. Ein besonders wichtiger Zeitzeuge war für mich der Fotograf Walter Ballhause, der lange in Hannover gelebt, bei der Hanomag gearbeitet hatte. Viele Fotos aus dem Milieu von Arbeiterschaft und verarmten Menschen sind dem Bildband „Zwischen Weimar und Hitler“ veröffentlicht worden. Nach dem Krieg lebte Ballhause in der DDR.
Dort haben Sie Ballhause dann getroffen und interviewt?
Wallat: Ja. Wir durften ihn schließlich in Plauen aufsuchen und filmen. Erst wollte uns die DDR gar keine Drehgenehmigung geben. Bei Dreharbeiten in Nordrhein-Westfalen hatten wir einen DKP-Funktionär kennengelernt. Er hat uns die Türen geöffnet.
Wir sehen Arbeiter bei der Arbeit, beim Arbeitersport und bei Musik und Gesang. Wie sind Sie zu der Konzeptidee „Linden – ein Arbeiterlied“ gekommen?
Wallat: Wir hatten so viele Themen und Motive. Da haben wir uns gesagt: Lieder haben ja auch viele Strophen…
Am Schluss landen wir im Jazz-Club am Lindener Berg – warum?
Wallat: Das war beim letzten Konzert von Chat Baker. Ich liebe Chat Baker. In dem Gebäude war vorher ein Jugendheim gewesen, und in dem hatte der spätere IG-Metallvorsitzende Otto Brenner politische Reden gehalten. So schließt sich der Kreis.
Herr Wallat, vielen Dank für dieses Gespräch.